März 31, 2021

Raphael Kuner: Ich bin Paddler

Bei meinem letzten Streifzug durchs Internet bin ich auf einen Artikel aus dem Jahr 2018 von einem sehr geschätzten Kollegen gestoßen. Mit der Überschrift „Ich bin Paddler“ nimmt uns Raphael Kuner mit in seine Gedanken-Welt des Paddelsports.

Viel Spaß beim lesen!

Ich bin Paddler

Der Versuch einer philosophische Betrachtung der bunten Paddelwelt.

ein Gastbeitrag von Raphael Kuner

Was kann die eine Paddler-Disziplin von der anderen lernen?

Wenn mir jemand diese Frage vor 20 Jahren gestellt hätte — ich hätte sie rundweg als nicht berechtigt vom Camping-Tisch gefegt. Ich war schließlich Stechpaddler, jawoll.

Was sollte ich da von Kajakern lernen? Ts … und ich besaß sie alle. Aufkleber die diese Meinung manifestierten.

  • „Kayaking sucks!“
  • „Half the paddle, twice the man“
  • „Single bladers don’t wear tutus.“

Ich war nicht einfach nur Paddler, ich war Stechpaddler. Es war eine Lebenseinstellung, die unumstößlich war. Klar, wir waren alle irgendwie Paddler und auf dem Wasser unterwegs. Aber von denen lernen? No way! Es war ja auch so ein bisschen wie Popper und Punker, Hippies und Spießer, Manta- und Scirocco-Fahrer. Mit denen hat man idealerweise auch nicht die Schulbank oder den Parkplatz geteilt.

Aber irgendwann kamen dann erste technische Gemeinsamkeiten zu Tage.

Mein erstes leichtes Zweifeln kam mit der „heel-hook-rescue“. Vor 10 Jahren wurde diese Wiedereinstiegstechnik in den Kanadier entwickelt und aktiv propagiert. Der Schwimmer hakt sich dabei mit der Ferse im Cockpit ein und rollt sich seitwärts ins Boot. Die Stechpaddler verwenden, in Ermangelung des Deck, ganz einfach eine der Duchten. Super easy and ein klasse Werkzeug im Kasten für die schnelle Rettung zwischendurch.

Dummerweise war das nun aber eine Technik aus dem Seekajak-Bereich. Es reifte ganz langsam die Überzeugung, dass Kayaker doch irgendwie ihre Daseinsberechtigung hatten. Zumindest die Seekajaker ….

Ein paar Jahre später kam dann mein amerikanischer Kollege Steve mit dem Begriff „cross-pollinating“ — sich gegenseitig befruchten. Im paddlerischen Sinne selbstverständlich. Hä? Was war jetzt los? Sollte ich jetzt mein liebevoll gehegtes Feindbild über Bord werfen? Mich mit Kajakern gegenseitig befruchten? Das war doch ein bisschen viel verlangt.

Aber Steve ließ nicht locker und ich beschloss wagemutig einen Blick über den Tellerrand respektive den Süllrand zu werfen.

Als erstes lief mir dabei, zumindest thematisch, Milo Duffek über den Weg. Der ehemalige Slalom-Champion war ganz sicher ein Wegbereiter für die moderne Paddeltechnik.

Den „Duffek“ haben alle Paddler irgendwann und irgendwie auf dem Lehrplan gehabt. Egel ob sitzend, kniend oder sogar stehend. Es ist ein System, ein Paddel-Prinzip, dass Einfluss genommen hat. Simpel, übertrag- und anpassbar an die verschiedenen Disziplinen.

Für mich irgendwie die Mutter aller Schläge.

Die Diskussion ob das ein Schlag oder eine Schlagkombination oder gar ein Manöver ist, sei an der Stelle einmal ausgeklammert.

Auch Kent Ford, vor allem die älteren Paddler unter uns kennen ihn, war mir lange nur als Stechpaddler bekannt. Seine Videos „Drill Time“ waren und sind legendär. Er hat aber auch jede Menge Lehr-Videos im Bereich Kayak verfasst und Kayak unterrichtet.

Je näher ich die Szene betrachtete, je mehr Paddler fand ich, die nicht nur Kanadier paddelten sondern auch Kayak. Auf hohem Niveau und mit Spaß und ohne Vorbehalte.

Der Trend ging schon länger und geht offenbar zur Zweitdisziplin.

Das Nachhaken bei Kollegen in Europa und Übersee brachte oft spannende Erkenntnisse über deren Werdegang als Paddler zu Tage.

Der Einstieg in den Paddlesport war oft zufällig. Kumpel hatte ein Kanu, Vater war Kayaker, Kursangebot im Sommercamp oder ein Sperrmüllfund auf Nachbars Dachboden. Und dann wurde man sozialisiert:

Als Stechpaddler oder Kayaker.

Und manch einer blieb da dann auch. Immer wieder treffe ich Paddler mit über einem halben Jahrhundert Paddelhistorie im Hintern oder den Knien. Herrlich! Und manch einer wechselte im Laufe der Jahre die Fronten.

Manchmal familiär begründet. Der fette 17 Fuß-Canadier war ideal für die ganze Familie nebst Gepäck. Manchmal einfach weil sich die Lebensumstände änderten.

Wer an den Alpen wohnt hat sicher andere paddlerische Bedürfnisse als ein Mensch an der Küste im hohen Norden.

Ich besuchte also einen Seekajak-Kurs.

Paddeln im Sitzen, mit Doppelpaddel und sogar mit Röckchen.

Ich war sehr skeptisch. Aber ich begann alte Feindbilder über Board zu werfen und muss sagen, das war ziemlich cool. Die Paddelwelt wurde noch bunter als sie es bisher war.

Neue Erkenntnisse bahnten sich ihren Weg und tatsächlich fand ein gegenseitiges Befruchten statt. Der Gedanke reifte, dass es doch mehr Gemeinsamkeiten der einzelnen Paddeldisziplinen gab als man gemeinhin annimmt. Und ich begann mich in das Abenteuer „cross-pollination“ zu stürzen.

Mitten in meine Selbstfindung als Paddler, erste Ergebnisse zeichneten sich ab, dann kam SUP!

Auch das noch. Muss das sein? Schwer genug, die Sitz- und Kniepaddler unter eine Spritzdecke zu bringen. Jetzt kommen auch noch die Surfer! Aber ok, mutig stürzte ich mich auch auf dieses Wasserfahrzeug und musste gestehen, es war durchaus faszinierend.

Das Paddel war ein bisschen länger, der Süllrand flacher und das ganze Ding durchaus stabil. Ein Hauch von Surfer-Attitude wehte über die Seen und Flüsse.

Manch einer kratzte sich verwundert am Schlapphut, drehte sich schaudernd ab und verkroch sich in sein Tipi.

Wie konnte man nur!

Auch die Wildwasser-Fraktion schüttelte ungläubig und missbilligend den Kopf als die ersten SUPer auf den Flüssen auftauchten.

Nestbeschmutzer war damals noch einer der moderaten Begriffen, die das Establishment der Paddel-Szene für die wenigen Paddler hatten, die sich aufs Brett trauten.

Aber — die Fronten vermischen sich. Die Erkenntnis reifte nicht nur bei mir, dass sich da durchaus eine Disziplin entwickeln könnte, die Spaß machen würde. Und die SUP-Novizen aus der Paddelszene stellten verwundert fest, dass man als geschulter Stech- oder Doppelpaddler durchaus einen prall gefüllten Kasten an Werkzeugen für SUPen mitbringt.

Und damit war auch ich an dem Punkt angelangt wo ich begann zu verstehen:

Ich bin Paddler!

Raphael Kuner SUP
Raphael Kuner beim Steh-Stechpaddeln

Was haben wir also gemeinsam und was können wir womöglich voneinander lernen?

Nun ja, irgendwie ist Wasser involviert, wir befinden uns mit einem schwimmenden Fahrzeug auf oder im Wasser und mit einem Paddel versuchen wir uns fort zu bewegen. Klingt ein bisschen platt, wäre aber quasi der kleinste gemeinsame Nenner.

Was uns definitiv verbindet ist das Medium, auf dem wir uns bewegen.

Wasser ist Wasser und folgt gewissen Grundsätzen. Fluss lesen ist Fluss lesen, Wellen verstehen ist Wellen verstehen.

Der Unterschied ist das Gefährt mit dem ich paddle. Und auch da stehen wir vor vielen Gemeinsamkeiten und könnten so wunderbar voneinander profitieren.

Ein Beispiel:

Das Einfahren in ein Kehrwasser. Die trennende Linie zwischen Hauptströmung und Gegenströmung zu überqueren ist eine Basisqualifikation für Steh-, Knie- und Sitzpaddler.

Das Runde muss ins Eckige, der Paddler ins Kehrwasser.

Geschwindigkeit, Einfahrwinkel und Kantung sind Schlüsselparamater, die aber bei allen Gefährten die gleiche Bedeutung haben.

Das Timing und die Stelle wo ich die Scherlinie überquere ist ebenfalls kaum unterschiedlich. Wer das System einmal begriffen hat, der hat leichtes Spiel. Es wäre also ein Einfaches, dem Kollegen im Kayak vom Kanadier aus einen Tipp zu geben. Sich auszutauschen. Doch da fremdelt die Szene noch gewaltig.

Auch beim Werkzeug, dem Paddel, gibt es durchaus Bereiche, die identisch sind. Und bei denen wir von einander lernen könnten. Ob nun mit langen oder kurzen Schaft oder mit einem oder zwei Blättern.

Der „Catch“ wäre ein hervorragendes Beispiel hierfür. Das Verankern des Paddels im Wasser und das sich-nach-vorne-bewegen ist universell.

Bei den Schlägen selbst lassen sich ebenfalls fast beliebig Gemeinsamkeiten finden. Statische Ziehschläge sind ein Muss im Skill-Set eines Paddler und in allen Gattungen zu finden.

Womit wir auch schon wieder bei Milo Duffek gelandet wären. Die modernen Kanuschulung hat dies auch schon seit geraumer Zeit erkannt und unterrichtet immer mehr auch Prinzipien an Stelle von einzelnen Schlägen. Das fördert das Verstehen und ist universeller.

Bei der Hardware sind die Szenen noch am nächsten beieinander. Aber auch da gibt es jenseits von Schwimmwesten und Helmen noch viel zu entdecken. Das gilt vor allem für die SUP Szene.

Für mich persönlich hat sich der Blick über den Bootsrand und das intensive Auseinandersetzen mit den anderen Paddeldisziplinen sehr gelohnt.

Ich fühle mich zwar nicht als besserer Paddler, aber als kompletterer Paddler.

Die linke Paddelseite ist noch immer meine Schokoladenseite, durchs SUPen bin ich inzwischen aber zusätzlich auf meiner schwachen Seite solide.

Auch meine Arbeit als Instructor und Instructor-Trainer hat sehr profitiert.

Das Hineindenken in Paddler anderer Disziplin fällt mir viel leichter, das Brücken schlagen zu bekannten Skills ist ein Kinderspiel. Und die ein oder andere Finesse aus der ehemals gegnerischen Bootsgattung hat Einzug gefunden in den Paddelalltag.

Wenn ich mich in meinem Berufsstand umblicke ist die Zahl derer, die nicht nur eine Disziplin unterrichten in den letzten Jahren deutlich gewachsen. Auch ein Zeichen für mehr Multikulti. Und — die Zahl potentieller Mitpaddler und potentieller Paddelziele sind massiv gestiegen. Auch ein sehr schöner Effekt.

Sind wir nun alle gleich? Mitnichten! Die Vielfalt der Paddeldisziplinen ist gut und richtig. Es gibt ja auch historisch gewachsene Kulturen und Szenen rund um die jeweilige Gattung. Und das ist wunderbar so. Aber — und das ist meine tiefe Überzeugung — der Blick über den Bootsrand lohnt sich. Schließlich wollen wir alle nur das eine.

Paddeln!

In diesem Sinne … paddle safe and paddle often 🙂

Hat dir der Beitrag von Raphael gefallen? Dann besuche ihn doch mal in seinem Schwarzwaldcamp und lerne ihn persönlich kennen.

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